Die Berge rufen, mit dem Ski-Club in die Dolomiten nach Pinzolo in Südtirol

Pinzolo liegt im Val Rendena am Fuße des Anstiegs nach Madonna di Campiglio in den Brenta - Dolomiten im Trentino. Dort finden Wintersportbegeisterte noch abseits vom Massentourismus ideale Bedingungen zum Ski laufen.

Hoch oben verliert der Mensch vor lauter Panorama und Glück den letzten Rest von Verstand, bindet sich Holz unter die Füße und saust auf präparierten Pisten ins Tal. Die wenigen Verstandesmenschen aber bleiben unten, genießen die Ruhe bei Spaziergängen auf den ausgebauten Wanderwegen am Ufer der Brenta und  blicken doch oft sehnsuchtsvoll hinauf zum Bergpanorama.

Dieses Skigebiet im Herzen der Dolomiten ist überschaubar und bietet Skivergnügen auf 150 Pistenkilometern von Madonna di Campiglio bis nach Folgarida-Marilleva – und das mit nur einem Ski-Pass. Wer Freude am Lift-Fahren hat, kann hier seinem Hobby frönen. 61 Liftanlagen verbinden die Pisten miteinander. Das Gebiet liegt in einer Höhe zwischen 850 und 2200 Metern. In diese Region verschlug es vom 19.04 bis zum 26.04.16 eine Reisegruppe des Bremerhavener Ski-Clubs. In Pinzolo, früher in aller Welt bekannt durch seine Scherenschleifer, logierte sie in der familiär geführten Pension „Hotelvilla Fosine“ mit allem Komfort, den erschöpfte Ski-Athleten nach anstrengenden körperlichen Freiluftaktivitäten am späten Nachmittag so schätzen: ein gemütliches Zimmer mit Balkon, einen Aperitif im Vorgarten mit Blick auf die verschneiten von der Sonne beschienenen Berggipfel oder einen Schwitzgang in der hoteleigenen Sauna.

Die Mahlzeiten, ob Frühstück oder Abendessen, waren reichhaltig und abwechslungsreich. Es kam nicht selten vor, dass sich einige Gäste bereits vor dem abendlichen Schlemmen im Eingangsbereich zum Speisesaal sammelten, um sich rechtzeitig an einem angesagten Tisch zu platzieren.

Zeugen sprachen sogar von tumultartigen Szenen unter den Alpinisten, als tradierte Sitzordnungen eines Tages durcheinandergerieten.

Als mündige Bürger u. Bürgerinnen durften sie ihre sportlichen Fähigkeiten selbst einschätzen und konnten sich drei Basisgruppen zuordnen. Holger Kühnel, ein omnipotenter Ski-Lehrer, musste die Gruppe mit durchschnittlichen Fahrkünsten übernehmen. Daneben gab es noch die Fahranfänger unter Leitung seiner Gattin Ingrid, eine eher Generationen übergreifende Lerngruppe, sowie die Fortgeschrittenen, auch „Racer“ genannt, die vom Bremer Urgestein Manno Ludwig angeführt wurde.

Letztere trafen selten auf die DurchschnittsfahrerInnen - frei nach dem Motto des  Märchens vom Hasen und Igel: „Ick bin schon dor“! Wenn die Igel, verschwitzt u. abgekämpft, sich einmal in einer gemütlichen Hütte von ihrem Sklaventreiber eine Verschnaufpause erkämpft hatten, waren die Hasen alias Racer bereits wieder auf u. davon. Abends erzählten sie dann grinsend, dass sie auf der Hütte schon am frühen Mittag „dor“ gewesen seien, um einen Bombardino zu schlürfen.

Was am Tage nicht gelang, wurde dann am Abend ausgiebig bei selbstgebranntem „Grappa du Chef“ in der urigen Bar der Pension nachgeholt. Die Nacht ist zwar nicht nur zum Schlafen da, aber wehe, wer sie zum Tag machte, der musste mit gnadenloser Härte rechnen. Denn es galt früh morgens raus aus den Federn, schnell zu frühstücken und dann einen Kilometer zur Kabinenbahn zu marschieren, welche die Pisten Pinzolos mit der Skischaukel Madonna di Campiglio- Val di Sole verbindet. Oben angekommen hieß es dann Sammeln.  Gemeinsame gymnastische Übungen vor dem Ski-Zirkus sorgten dafür, dass die Bremerhavener keinen Flugrost ansetzten. Holger, der von einem seiner Probanden scherzhaft Graswander-Toni genannt wurde, eröffnete den sportlichen Reigen, indem er alle Übungen am Berg vormachte. Doch so mancher Ski-Läufer träumte wohl noch und beobachtete Holgers Verrenkungen. Amüsiert befahl er dann:“ Nun mal los, ich kann s nämlich schon!“

Das leise, nur gehauchte Murren verging schnell, denn der Mensch lernt, sinnvolle Rituale zu akzeptieren, die ihm das Sein erleichtern.

Der Holger führte seine Gruppe souverän durch das manchmal doch verwirrende Pistengeflecht von einem Tal ins nächste. Wenn dabei eines seiner ihm anvertrauten Schäfchen im Labyrinth der Lifte verlorenging, wartete die Gruppe geduldig oder organisierte eine Suchaktion, die dazu führte, dass die letzte Abfahrt nach Pinzolo verpasst wurde. Auch hier wusste Holger Rat, man fuhr dann einfach mit dem nächsten öffentlichen Verkehrsmittel nach Pinzolo zurück, nicht ohne vorher noch einen Beruhigungsschnaps genossen zu haben.

Wenn das Findelkind schließlich am Abend wohlbehalten in der Pension gesichtet wurde, war die Freude groß.

Zwei aus Holgers Truppe konnten häufiger das Tempo nicht mithalten. Die eine fuhr eher vorsichtig, der andere zügig, aber statt mit Technik eher durch Kraft. Beiden flößten die schwarzen Pisten Respekt ein, die sie deshalb zu meiden suchten. Doch Holger verstand kein Pardon, hatte er sich für einen Weg entschieden, musste die Gruppe folgen. Dabei wechselten die Schwierigkeitsgrade zwischen blau, rot und auch schwarz. Auf solch einer Piste kam der Autor dieser Zeilen zu Fall und rauschte im atemraubenden Tempo, eingehüllt in eine Schneewolke, den steilen Berg mäandernd hinab. Margit hielt den Atem an und Renate drehte sich weg, sie wollte das Elend nicht mit ansehen. Doch alles ging gut aus. Keine nachhaltigen Blessuren. Aber Renate und Pudo schworen, sich nie mehr auf schwarze Pisten leiten zu lassen. Ob sie sich daran gehalten haben, wissen wir nicht. Aber überliefert ist ein literarischer Text, der das Problem samt Vergeltungsaktion spiegelt:

„Sieht Holger dann die Piste, geht`s gleich in den Lift hinein, sein Blick ist Richtung Schwarze, ich arglos blind mit hintendrein. Schon geht es steil hinunter, der Schreck, der ist riesengroß: Holger steht schon unten, nachfahr`n findet er famos! …Doch Holger, du musst vorsichtig sein, sitzt du mal auf der Bank allein… Renate dann abrupt aufsteht und Holger auf die Klappe geht!“ (Renate Heinsohn)

Ganz ohne Verletzungen ging es auf dieser Reise nicht zu. Da gab es Schnittwunden durch unsachgemäßes Werkzeug beim Salamischneiden, aber auch Fuß- und Rückenschmerzen. Die italienischen Ärzte wurden ignoriert, denn der Ski-Club hatte sein heimisches Ärzte-Team dabei. Das skibegeisterte Ehepaar Angelika und Dirk Fornacon klebte Pflaster, massierte oder spritzte schmerzlindernde Mittelchen. Dafür sei ihnen gedankt.

Ein Höhepunkt der Reise war sicherlich das nachmittägliche gemeinsame Picknick neben einem Auftriebsstall der Berghütte Malga Cioca. Die Youngster des Ski-Clubs organisierten Schaufeln und modellierten geschickt unter den kritischen Blicken Patrick Curtius eine Bar  aus Schnee- u. Eisquadern. Gestandene Ski-Läufer u. Läuferinnen hatten bereits in ihren Rucksäcken allerlei lokale Köstlichkeiten auf den Berg transportiert, die nun sachgerecht platziert wurden. Da hingen dann verschiedene Salamiwürste an einem Seil, welches sich über die Bar spannte, es gab heimischen geräucherten Schinken, dazu wurde Bauernbrot gereicht, Salate, verschiedene Bergkäse und dazu deftigen Schnaps, kühlen Weißwein oder ein Gläschen Rotwein. Die Gruppe ließ es sich schmecken u. vergaß beim Plaudern vor lauter Zufriedenheit die Zeit. Selbst die Sonne gab ihren Segen und strahlte vom blauen Himmel.

Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei. So näherte sich auch diese Reise einmal ihrem Ende.

Aber wer hatte diese Exkursion in die Berge geplant und organisiert? Natürlich der Ski-Club, doch dieser Anonymus muss doch einen Kopf haben, ein Gesicht oder Gesichter?

Der letzte Abend vor der gemeinsamen Abreise stand deshalb unter dem Motto: „Dank dem Organisatorenteam“.

Dafür ließen die Bremerhavener ihre Lokal-Chanson-Matadorin Carla Mantel einfliegen, glaubten einige zu wissen. Doch diese tummelte sich bereits seit einer Woche inkognito unter dem Namen Ulrike Mantel-Wiegand zwischen den Ski - Läufern.

Ihr selbst komponiertes Chanson zur Melodie des Schlagers „Zwei kleine Italiener“ widmete sie dem Organisator dieser famosen Reise, Holger Kühnel. Ihr Liedtext wurde zur Hymne. Hier einige Textbeispiele, die Holgers Arbeit mit seinen Schülern treffend charakterisieren:

„Der Holger rast vorweg, Mensch gib Kante und verlier ihn nicht bei 70% Gefälle verweiger dich lieber nicht.“

„Jetzt geht’s auf die Pisten, zuerst war`n sie himmelblau, doch kam man schnell ins Schwitzen, vor Angst, sie wurden dunkelgrau.“

„Dann ging es munter weiter, ne Pause, die gab es nicht. Wir sind im Trainingslager und bald geht der letzte Lift. Wir warten auf Renate, die ist plötzlich weg.“

Nach jeder Strophe schmetterten die Teilnehmer den Refrain mit Verve: „Eine Reise nach Pinzola ist für viele chic und fein, doch fährst du mal mit dem Ski-Club, kannste schnell alleine sein.“

Der letzte Vers dieses langen Epos soll diesen Bericht beenden:

„Oh Holger, lieber Holger, wenn wir uns nächst`wiedersehen, oh Holger, lieber Holger dann wird`s noch mal so schön.“

Vielen Dank Holger für die Organisation, für die Arbeit mit deinen Schafen und Schäfchen am Hang. Unser Dank gilt allen Helfern und Helferinnen, die diese Reise erst möglich gemacht haben.

Für die Teilnehmer an der Ski-Reise im März 2016

Manfred Kandsorra